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Laufmann-ml194


Premium (World), aus Unentschiedenheit

"Die drei Wanderer"

Zum Rotkelchentrio passt ein Gedicht, dass ich gefunden habe (Aufnahme am 21.08.2011 gegen 08:00 Uhr mit Nebel am Morgen):
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Von Alfons Petzold 1882 - 1923

Die drei Wanderer

Das junge Jahr wirft die ersten Blüten in die Felder und bestellt mit festlich grünem Laub die Baumhallen des Landes.
Zarte Winde voll Grasduft und Erdgeruch wandern durch die winterengen und steindumpfen Straßen der Stadt.
Wie lockende Buhlerinnen bleiben sie vor den Fabriken, Geschäftshäusern und Warenmagazinen stehen und raunen mit blühendem Munde den Arbeitern, Schreibern, Näherinnen und Verkäufern ins Ohr:
"Morgen ist ein Sonntag, da soll der Tau auf den Blumen eure frohen Gesichter spiegeln, so wie heute der Werktisch euren müden, traurigen Schatten aufnimmt. Wir schreiten euch voraus und wecken die Wege zu eurem Empfang. Kommt nach! Wenn morgen in früher Stunde die Sonne winkt, müßt ihr der leuchtenden folgen. Sie hat noch niemand betrogen und alle königlich beschenkt, die ihr vertrauten."

Ein weicher, rötlicher Nebelflaum sinkt hinter den Rücken dreier Wanderer auf die sonntagerwachende mächtige Stadt.
Vor ihnen glänzen die Felder in der Sonne wie weiße Papierflächen im Geleuchte einer Lampe.
Die drei Wanderer - jugendliche Arbeiter - tragen stolze, freie Herzen über die Straßen, die fernen Waldhügeln entgegenlaufen.
Alle ihre stumpfe Kleinmütigkeit, ihre schüchterne Demut vor dem alltäglichen Leben haben sie in der Werkstätte zurückgelassen.
Das ganze Gepäck ihrer Seele ist fröhliche Erwartung!
Was wird ihnen die herrliche Sonne für köstliche Dinge schenken?
Jeder Schritt bringt sie der Erfüllung näher.
Dies fühlen sie und die Freude weckt in ihnen die Erinnerung an ein Wanderlied, das sie in ihrer Knabenzeit gelernt hatten.
Sie singen es in den hellen Morgen wie siegreiche Landsknechte.
Seit ewiger Zeit ist nur der Wanderer der einzige wirklich freie Mensch.
Und wenn sie durch die Fremdheit der Länder schreiten und nur der Sonne und den Sternen untertan sind, dann reichen sie sich in freier Gleichheit die Hände: Der König und der Vagabund.
Wandern verbrüdert uns.

Der Pfad führt über eine hügelige Wiese.
Auf ihrer Höhe steht, sie beherrschend, ein gewaltiger Apfelbaum.
Er steht in völliger Blüte.
Springt der spielende Morgenhauch in sein Geäst, schaukeln sich Millionen Blüten an ihrem Gestiele, so, als wären es ungezählte hellfarbige Falter.
Zu seinen knorrigen Wurzelfüßen plätschert sanft und gelassen ein Wässerlein den Hügel hinab.
Die feuchte, üppige Erde trägt eine Unmenge Blumen in den starken, daseinsfreudigen Wuchs des Frühlings.
Sternchen, Sonnenräderchen, Täschchen, Kelche - zahllose Formen, die in allen Farben glühen, wie sie schöner und eigenartiger kein Mädchengehirn für seine
Stickmuster aussinnen kann, kriechen, klettern, tanzen, springen, wimpeln über das satte Grün des Grases.
Da leuchtet das blaue Laternchen des Enzians dem spitzbübisch schleichenden Akelei ins Gesicht, der mit dem Haß des Zwerges den kühnen, stolzen Rittersporn anschielt.
Eine Schar Tymiane schlingt um eine Aurikelsonne einen opfernden Reigen, zu dem eine einsame Glockenblume Gebet läutet.
Aber der freche Hahnenfuß in ihrer Nähe ist Atheist und unterhält sich mit der Klatschbase Pfeffermünz über die Güte des letzten Taues, der noch in dem Haar des silbernen Seidelbastes hängt.
Mit vor Entzückung verschleierten Blicken beschaut der erste Wanderer diese Versammlung verzauberter Nixen, Prinzessinnen, Jungfrauen, Königinnen und Feen und sagt zu seinen Begleitern:
"Brüder, wandert allein weiter! Ich will hier bleiben, wo sich mir der höchste Sinn des Lebens, die Schönheit, in so köstlicher Fülle offenbart!"
Er setzt sich unter den flüsternden Apfelbaum, stützt den Kopf auf seine Hände und trinkt mit dürstenden Augen die Pracht der Blumen, indes die beiden anderen dem Walde zueilen, der in der Ferne träumt.

Von einem Baum zum andern wirft ein durchsichtiger Blättersamt seine leise rauschenden Falten.
Und weicher, grünbrauner Sammet bespült mit trockener, knisternder Flut, in der jeder Laut wie ein schwerer Gegenstand zu versinken scheint, die Füße der Wanderer.
Es ist wie in einem weitwändigen kühlen Saal zur Dämmerzeit. Alle Töne, die von außen an den Wald fliegen, prallen an dem Laube seiner äußeren Bäume ab und stürzen sich zu Tode.
Und so geschieht es auch dem Lichte.
Das tropft nur hie und da in winzigen Perlen von Blatt zu Blatt, von Ast zu Ast, rinnt in dünnem Filterstrahl die wetterzerknitterten Stämme hinab und bildet im Moose kleine flimmernde Lichtteiche, in denen Insekten in ihrer Lautlosigkeit gespenstig hin und her huschen.
Ein Kuckuck ruft!
Er wirft mit jedem Rufe eine Minute Ruhe und Einsamkeit in den schweigenden Wald hinein.
In der Mitte des Waldes steigt verfallenes Brunnengemäuer auf.
Sein rieselnder Quell versinkt in ein noch dunkleres Schweigen, als es sonst in dem Walde webt.
Auf einer zeitzernagten Tafel oberhalb des Auslaufes stehen die Worte:
Wer aus mir trinkt, will bei mir weilen, kann mit mir glückhaft Leben teilen: Ein Leben, das nicht kennet Ziel und Zeit, Und das der Weise nennet Einsamkeit.
Da sagte der zweite Wanderer:
"Bruder, wandere allein weiter! Ich will hier bleiben, wo mir der tiefste Sinn des Lebens, die Einsamkeit, offenbar wird."
Und er setzt sich auf den verwitterten Brunnenrand und trinkt mit dürstender Seele die Stille des Raumes.
Der andere Wanderer lächelt und geht einem grüngoldigen Strahl nach, der in der Laubtiefe aufglimmt.

Ein Wald, hundert Wiesen, hundert Wiesen, ein Wald. Manchmal in einer Talmulde oder an einem gemäßigten Abhang ein Dorf, ein Marktflecken, darüber Kirchglocken singen.
Oben in der Perlmutterbläue des Himmels eine langsam dahinziehende Kumuluswolke.
Unten ein Wanderer, der schweigenden Schrittes durch die Wiesen, Wälder und Dörfer schreitet, der Sonne zu, die auch das Ziel der segelnden Wolken ist.
Rast zu einem Bissen Brot, einem Trunk Wein und einem Lächeln für eine Dorfschöne, und dann weiter, weiter.
Und ein Winken, brüderlich, fröhlich, zur Wolke empor.
Das Herz des dritten Wanderers singt:
"Wolke, rote Wolke dort oben! Halte in mir den heiligsten und stärksten Sinn des Lebens wach: Die große Sehnsucht nach dem Lichte in der Ferne! Wolke, rote Wolke dort oben! Gleich dir will ich ein Sonnensucher sein, daß ich auf der endlichen Straße den Weg zur Ewigkeit finde! Wolke, rote Wolke dort oben, Schwesterlein in der Himmelshöhe, ich grüße dich!"
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