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Stefan Schwetje


Premium (World), Braunschweig

In der Nacht vom...

In der Nacht vom 22. auf den 23.10.1943 waren 800 Juden angekommen. Die Angehörigen des Aufräumungskommandos, das nur aus Juden bestand, kannten solche Situationen. Sie waren wie immer von der SS zur Eile angetrieben worden und hatten Koffer und sonstige Habe der Neuankömmlinge aus dem Zug geladen, als es zu Unruhen kam. Schon an der Kleidung dieser Menschen war zu erkennen, dass sie nicht aus irgendeinem Ghetto kamen.
(Es handelte sich bei diesem Transport um wohlhabende polnische Juden, denen die Ausreise ins Ausland versprochen worden war, die sogenannte „Hotel-Polski-Affäre“)
Diese Menschen konnten es nicht fassen, als die SS ihnen befahl, den Zug zu verlassen. In Warschau war ihnen nämlich die Rückfahrt in ihre Herkunftsländer versprochen worden. Sie kamen in Luxuswaggons der ersten Klasse angereist – nicht wie die Juden sonst hier ankamen, in Vieh- oder Frachtwaggons. Einer der Häftlinge des Aufräumungskommandos versuchte den Neuankömmlingen zuzuflüstern, was sie wirklich erwartete. Die Neuankömmlinge weigerten sich zunächst, die Befehle der SS zu befolgen, woraufhin sie mit Schlägen in die am Platz vor dem Bahnsteig wartenden Lastwagen getrieben wurden. Die LKWs waren durch das Tor zum Krematorium gefahren, das in der Nähe von meinem Block lag. Dort luden sie die Neuankömmlinge ab, die sich zur Zählung aufstellen mussten. Da die SS alles möglichst schnell hinter sich bringen wollte, schlugen sie die Neuankömmlinge für jede kleine Bewegung. Trotzdem gelang es einer Frau, die wohl wusste, was die Deutschen mit ihnen vorhatten, diese Nachricht an die anderen weiter zu geben. Die Menschen fingen an, sich zu wehren. Sie wollten sich nicht zählen lassen. Nur mit brachialer Gewalt und der Hilfe von scharfen Wachhunden konnte die SS die Zählung durchführen.
Nach der Zählung befahl ihnen ein SS – Offizier, sich im nahen Bad zu duschen. „Danach“, sagte er, „kommt ihr ins Arbeitslager“. Wie sich später herausstellte, war die Frau, die wohl Bescheid wusste, Franciszka Mann, geboren 1917 – eine bekannte polnische Tänzerin.
Die Tänzerin zwängte sich durch die Häftlingsreihen und konfrontierte den Offizier. „Als Juden sind wir harte Arbeit gewöhnt“ sagte sie ihm auf Deutsch. „Aber ein Bad haben wir nicht nötig. Wir sind alle sauber“. Der perplexe Offizier wusste nicht wie ihm geschah, er kochte vor Wut. „Wir duschen nicht“ riefen nun auch die anderen. Der Offizier begriff, dass die Lage ernst war, und verließ den Platz. Die Stärke seiner Truppe würde nicht ausreichen. Vom Büro des Krematoriums rief er die nahe SS – Kommandantur an und bat um Verstärkung. Oberscharführer Schillinger, der seinen Kameraden nach dem Anruf zeigen wollte, wie sehr er Herr der Lage war, kam mit einem Trupp SS – Soldaten und Jagdhunden als Verstärkung, und machte sich sofort an die Arbeit. „Stillgestanden“ brüllte er in die verängstigten Gesichter der Juden. Ihm war anzusehen, dass er getrunken hatte. Diese verdammten Juden hatten ihn in seinem Vergnügen gestört.
Er befahl den Juden, die vor ihm standen, sofort in den Waschraum zu gehen. „Wenn wir arbeiten sollen – bitteschön“ entgegnete ihm die Tänzerin. „Aber duschen – nein und nochmals nein!“ „Ihr werdet schon sehen was ihr davon habt“ brüllte Schillinger in sarkastischem Ton zurück.
Die Tänzerin im Visier, ging er auf die Menschenmenge zu, zog seine Pistole, und befahl ihr sich auszuziehen. Während Schillinger sich provokant in Pose stellte – die Pistole auf das Gesicht der Frau gerichtet – zog diese ihm blitzschnell die Pistole aus der Hand. Noch bevor Schillinger begriff, was passiert war, fielen Schüsse, die ihn direkt ins Herz trafen, sowie zwei seiner herbei eilenden Adjutanten, verletzten.
Die SS – Soldaten, sichtlich geschockt, fingen an wild in die Menge zu schießen. Die verstörten Juden liefen in alle Richtungen auseinander, doch überall stießen sie an den unter Hochspannung stehenden Stacheldraht. In ihrer Verzweiflung stürzten sie sich auf die Soldaten. Es kam zu Zweikämpfen.
Nach einer Weile war der Aufstand niedergeschlagen und die Juden getötet.
24.10.1943
Als Vergeltung für den Tod von SS – Oberscharführer Schillinger am Vortag schossen SS – Wachposten am Abend mit Maschinengewehren ziellos in das Lager Birkenau; dabei wurden 13 Häftlinge getötet, vier Häftlinge wurden schwer und zweiundvierzig leicht verletzt.

(Quelle: „900 Tage in Auschwitz“ von Mordechai Papirblat sowie „Kalendarium der Ereignisse im Konzentrationslager Auschwitz – Birkenau 1939-1945 von Danuta Czech)

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