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Trollers Traum

"Einmal im Jahr erwacht das Nachtvolk der Pariser Clochards aus seinem schattenhaften Dasein, bevor es wieder zurückkriecht in die Prähistorie. Am 24. Dezember feiern sie ihre Mitternachtsmesse. Schon tagelang vorher hört man das Sägen und Hämmern hinter dem ersten Bogen der Tournellebrücke. (...) Erst geht es noch recht gesittet und vornehm zu, dann fallen die Clochards in die Lieder ein, grölen, schwingen die Flaschen. Dies ist ihre Nacht, ihre einzige. (...) Schon hält es die ersten Reihen nicht mehr. Eine Zerlumpte, Zahnlose wird hochgehievt, kreischend dreht sie sich aus einem Arm in den andern."

So schreibt der berühmte 'Dokumentarist des Menschlichen', der noch heute im Alter von 100 Jahren in einer Dachwohnung im 15. Arrondissment lebende 'Jahrhundertmensch' Georg Stefan Troller in einem frühen Text 1967.
Zunächst als amerikanischer GI aus dem Exil nach Europa zurückgekehrt, streifte der entwurzelte Sohn Wiener Juden in den frühen 50er Jahren durch die Pariser Viertel. Mit einer Leica, die er einem deutschen Kriegsgefangenen abgenommen hatte, zog es ihn weg von den glitzernden Prachtstraßen in das kleinbürgerlich-proletarische Paris meist im Osten der Stadt. Die vergessenen und in einem Karton von der Tochter wiedergefundenen Fotos sind unter dem Titel 'Ein Traum von Paris - Frühe Texte und Fotografien' 2017 im Corso-Verlag veröffentlicht worden.

Der Blick durch den ersten Bogen des Pont de la Tournelle am linken Ufer der Seine (5. Arr.) gegenüber der Île Saint-Louis zeigt den Ort, an dem vor über 70 Jahren die Pariser Chlochards ihre Weihnachtmesse feierten.
Paris, Frankreich 30.05.2022
https://www.spiegel.de/fotostrecke/paris-der-verlorene-foto-schatz-von-georg-troller-fotostrecke-165562.html
https://www.deutschlandfunk.de/historische-fotos-das-paris-von-georg-stefan-troller-100.html
https://www.youtube.com/watch?v=fjRv9fn-JqI
https://www.youtube.com/watch?v=RrwWbYEqSfE
https://www.youtube.com/watch?v=OSM8QwWrve8

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