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Der Hauptmann aus Zwönitz

Der Hauptmann aus Zwönitz

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Ludwig Go


Free Account, Innsbruck

Der Hauptmann aus Zwönitz

Auf diesem Bild seht ihr meinen Urgroßvater Rudolf, der im Gegensatz zum Hauptmann aus Köpenick, ein echter Hauptmann war. Er wurde 1881 in Zwönitz geboren, welches im Erzgebirge, südlich von Chemnitz liegt. Dies ist das einzige Foto das ich von ihm habe. Wenn sich jemand mit alten Uniformen auskennt, bitte ich um Info welche er da trägt. Der Helm lässt evtl. auf Dragoner schließen.


Vom Erzgebirge in die Alpen – eine kleine Familienchronik

Jeder Mensch stellt sich wohl irgendwann die Frage: „Wo komme ich her?“
Speziell in Zeiten des Krieges bleibt vielen Menschen oft nur noch eine Wahl, die Flucht zu ergreifen. Wir erleben es tagtäglich in den Medien. Es passiert weit weg von unseren warmen und aufgeräumten Stuben, irgendwo draußen in der großen, weiten Welt.
Vor 63 Jahren, im Frühjahr 1945, flüchteten viele Menschen vom Osten Deutschlands in den Westen. Die Russen kommen. Darunter auch eine dreiköpfige Familie, eine Frau mit einem Baby und ein kleiner Junge von 9 Jahren. Das war mein Vater.

Mein Vater wurde 1936 in Freiberg geboren und hatte anfangs eigentlich eine recht unbeschwerte Kindheit. Als der Krieg begann, wurde sein Vater eingezogen und nahm am Polen und Frankreichfeldzug teil, wo er das Eiserne Kreuz erhielt. Im Rang eines Feldwebels wechselte er dann zum neu aufgestellten Fallschirmjägerregiment 3, wo er als Ausbildner tätig war. Die ganze Familie wohnte damals in der Kaserne (leider weiß ich nicht welche, wahrscheinlich in Dresden) und mein kleiner Vater marschierte beim exerzieren immer neben den Soldaten mit, was meinem Großvater etwas peinlich war. Seinem Vorgesetzten (wahrscheinlich Oberst Heidrich) gefiel das hingegen sehr gut und er sagte immer: „Lassen die den Jungen nur, der ist schon richtig!“ Als sich mein Opa sich im Frühjahr 1942 von seiner Familie verabschiedete, sahen sie sich das letzte Mal. Er fiel am 22.Mai auf Kreta im Alter von 32 Jahren. Mein Papa war 7, Halbwaise und der Sohn eines Helden.

Meine Oma lebte dann abwechselnd in Dresden und in Helbigsdorf. In Helbigsdorf hatte ihr Vater eine Bäckerei wo sie auch zeitweise arbeitete. Mein Papa hat mir einige Lausbubengeschichten aus dieser Zeit erzählt, doch das würde nun zu weit führen. Einen rätselhaften Vorfall möchte ich euch jedoch noch berichten. Es war an einem heißen Sommertag und ein mächtiges Gewitter braute sich zusammen. Bei solchen Anlässen war es Brauch, dass sich alle in einem sicheren Raum einfinden sollten und um dort das Gewitter abzuwarten. Plötzlich flitzte ein Kugelblitz durch den Raum. Rein und Raus, niemandem war etwas passiert. Mein Vater schwört es bei allem was ihm heilig ist. Ob Traum oder Wirklichkeit, der Kugelblitz sollte sich noch als böses Omen erweisen.

Die Jahre vergingen, meine Oma hat dann noch einmal geheiratet und bekam Ende 1944 ihr zweites Kind. Ihr Mann, mein „späterer Opa“, war ein Österreicher und damals an der Italienfront eingesetzt. Als Oberschirrmeister (Fuhrpark) war er an der Evakuierung der Kunstgegenstände des Klosters von Monte Cassino beteiligt. Später wurde es von US Bombern vollkommen zerstört und von deutschen Fallschirmjägern (3. Regiment!) aufopferungsvoll verteidigt. Hätte mein anderer Opa Kreta überlebt, hätten sich meine „beiden Opas“ dort vielleicht kennen gelernt. Hätte, wenn und aber – es isch wias isch – sagt der Tiroler.

Dann kam der Februar 1945. Mein Vater lebte zu dieser Zeit in Dresden. Es war eine wunderschöne und vor allem sichere Stadt. Dresden wird nicht bombardiert, meinten die Meisten. Man ging in den Zirkus oder in den Schlosspark. Dresden war sicher. Dresden sollte jedoch zu einem Synonym werden, leider nicht für Sicherheit und Freude, sondern für Kummer und Tod. Es war die Hölle auf Erden. Jeder von euch weiß, was in Dresden passiert ist, deshalb will ich nur kurz bei diesem traurigen Thema bleiben. Wie und dass mein Vater diese Nächte überlebt hat ist ein Wunder. Er weiß es selbst nur noch schemenhaft. Bombenalarm – sie laufen in den Keller – beide Türen bereits verschlossen – sie ducken sich in eine Ecke, eine handvoll verschreckter Menschen – schwere Einschläge – Trümmer fallen zu Boden – Oma wird getroffen – die meisten Menschen in den Kellern sind tot – Volltreffer – Sanis kommen und nehmen Oma mit – mein Vater mit dem Baby allein – er läuft in den benachbarten Park – wartet und hat furchtbare Angst – Oma kommt wieder – ein Wunder – „Chistbäume“ fallen vom Himmel – Asphalt brennt, Menschen brennen, die ganze Stadt brennt – Jagdflieger beschießen Frauen und Kinder auf den Elbwiesen – Hasenjagd !!!

Nachdem sie dieses Inferno tatsächlich überlebt hatten, war Dresden nicht mehr und daher mussten sie vorerst nach Helbigsdorf zurück. Mich wundert es bis heute, wie gut mein Vater diese furchtbaren Ereignisse überwunden hat. Er ist ein lebenslustiger Mensch und nur sehr selten holen ihn die Emotionen ein, wenn er daran denkt. Dann sah ich ihn auch schon weinen.
In Helbigsdorf erlebte er dann den Einmarsch der russischen Truppen. Alle Frauen und Kinder versteckten sich im Wald. Dem Pfarrer wurde vor seinen Kindern, mit einem Spaten der Schädel eingeschlagen. Mein Vater hat es gesehen. Es sind schreckliche Dinge geschehen, in diesen Tagen.
Dann begann die lange Flucht in den Westen, die schließlich in Innsbruck enden sollte. Mein anderer Opa überlebte den Krieg und kam von Italien herauf. In den Nachkriegsjahren bauten sie sich dann eine schöne Existenz auf und hatten ein recht glückliches Leben. So ist also mein Papa vom Erzgebirge in die Alpen gekommen und so bin ich zu einem Tiroler geworden.

Commentaire 18

  • WolfgangHönack 26/03/2009 5:45

    Danke für Deine Geschichte!
    Gruß von Wolfgang
  • H STi 10/03/2009 7:20

    Hallo Ludwig

    Das Bild deines Opas ist sehr bewunderungswert, ein richtiger Zeitzeuge. Ich habe dein Dokus alle gelesen und so mit bekommen wie du zum Tiroler wurdest.
    Das Dein Opa auf Kreta gefallen ist tut mir sehr leid, wollen wir Ihm ein ehrendes Gedenken bewahren.
    EHE WEM EHRE GEBÜHRT!

    Ich freue mich auf weitere Dokus von Dir, ich werde auch mal in der Kiste von meinem Opa, der im Russlandfeldzug war kramen, meine Opa ist den Russen abgehauen und ist von Berlin bei Nacht auf die Schwäbische Alb ca 800 Km zu Fuss geflüchtet, ich habe Ihn noch gekannt er ist 1988 vertorben ich damals 27 Jahre alt.
  • Krebs 13/02/2009 9:41

    Danke, Ludwig. Zeitzeugenaussagen haben für mein Geschichtsbild oberste Priorität. Medien verfälschen oft. Eine wunderbare konzentrierte Schilderung. Du kannst nicht nur Fotos...
    VG Peter
  • staufi 13/02/2009 8:00

    Ludwig, das ist erschütternd. Ich hoffe, dass so etwas, was Deiner Familie passiert ist, nie wieder geschieht. Ähnliche Schicksale gibt es ja in vielen anderen Familien. Nicht nur in Europa. Ich hasse kriegerische Auseinandersetzungen jeglicher Art. Alle Konflikte lassen sich auch friedlich lösen, davon bin ich überzeugt.
    Viele Grüße
    Erhard
  • zuppi 15/01/2009 7:45

    Interessante Familienchronik.
    Das gefällt mir. Ein Bild und Infos dazu.
    Gruss, Zuppi
  • Bunkerworld 14/01/2009 19:47

    Du holst ja sachen zum vorschein echt der hammer
  • wolly-boy 12/01/2009 14:18

    Eine bewegende Geschichte, und doch alltäglich zu
    der damaligen Zeit.
    Es sollten, vor allem was Dresden betriift, einmal die lesen,
    die sich heute als Weltpolizei aufschwingen und weiterhin morden.
    LG. Wolfgang
  • Isus 05/01/2009 20:41

    Hallo Ludwig, durch Zufall bin ich beim Stöbern auf Deine Geschichte gestoßen, die mich sehr bewegt hat. So ist es auf der Welt, meine Vorfahren stammen aus dem Sudetenland, aus Gablonz. Und da mein Opa Oberregierungsrat war, wurde er immerzu versetzt. So passierte es auch im Jahr 1941, die Familie meiner Mutter zog nach Dresden, sie hätten auch nach Nürnberg ziehen können, aber von Dresden war es näher zur Großmutter. Meine Großeltern überlebten den Horror in Dresden, schwere Zeiten haben sie überstanden, die Verwandten kamen auf dem Truck durch Dresden, konnten hier aber nicht bleiben, weil sie keine Aufenthaltsgenehmigung bekamen. Sie sind weitergezogen, nach Geisweid bei Siegen, haben sich dort eine neue Existenz aufgebaut und ein Haus gebaut. Sie haben für das verlorene Haus in Gablonz Geld (Lastenausgleich) bekommen, hier gab es nichts. Aber da keiner den anderen nur um des schnöden Geldes wegen verlassen wollte, sind sie alle hier in Dresden geblieben, haben sich durchgekämpft und ich bin eine Sächsin geworden. Und ich bin heute sehr froh darüber, in Dresden zu wohnen, weil es eine wunderschöne Stadt ist. Nach Innsbruck hat mich meine erste Reise im April 1990 geführt, wir haben das erste Geld, was wir umtauschen konnten, in eine Tagesreise investiert. Leider haben wir da von Innsbruck nicht sehr viel gesehen, aber wir hatten prächtiges Wetter und ich konnte mir meinen langgehegten Wunsch erfüllen und endlich mal die Alpen sehen. Jetzt führt uns jedes Jahr unser Urlaub in die Berge, das ist für mich das größte Glück!
    Ich wünsche Dir ein gesundes neues Jahr, liebe Grüße Susanne
  • Dahlii 01/01/2009 11:24

    es kommt selten vor, das ich mir Texte unter Bildern wirklich durchlese (die Zeit, leider) aber hier hat es sich gelohnt. Sie zeugt von einer intensiven Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und die ist sehr oht bewegend, spannend.
    Danke für Deine Inspiration, ich werde meine alten Fotos auch mal raus kramen.
    Wünsche einen guten Strat ins neue Jahr.
    LG Der Wolle
  • Wanja Wardat 17/12/2008 21:27

    Was wäre dieses Foto ohne diese ausführlichen Hintergrund Informationen,ein Bild unter vielen.Mich macht es immer ein wenig ratlos,wenn ich Fotos gezeigt bekomme ohne Fakten zu nennen die den Kontext
    beschreiben, der zu dem Bild gehört.Mach das weiter so.
    Gruß Wanja Wardat
  • Dagmar Senff 09/12/2008 21:48

    Tolle Idee, lieber Ludwig. Wieder wunderbar dokumentiert. Klar, dass Dir 10 Bilder die Woche zu viel sind. Mir jetzt eigentlich auch. LG Dagmar
  • Ernst Riha 08/12/2008 11:48

    ... der erweiterte Sinn der Fotografie
    Dokument und Brücke zwischen den Zeiten.
  • Jean Albert Richard 07/12/2008 11:53

    Hervorragende Bild- und Textqualität!
    Mit der Uniform kann ich leider nicht helfen, aber es muß bestimmt irgendwo im Web zu finden sein.
    Herzliche Grüße aus Runkel nach dem schönen Tirol,

    Jean

    Mein Vater (1917)
    Mein Vater (1917)
    Jean Albert Richard
  • Ingrid Ben 06/12/2008 15:55

    Mir lief es gerade kalt den Rücken runter beim Lesen - spannende und interessante Schilderung...Einen kleinen Schatz mit ähnlichen uralten Bildern, wie dieses hier von Deinem Urgroßvater, hab ich auch noch - leider aber auch nur einen uralten Scanner, der nicht viel taugt. Eines Tages werde aber auch ich das alles mal digitalisieren ;-) LG Ingrid
  • Cécile Fischer 06/12/2008 14:19

    Dein Text hat mir gerade Gänsehaut verpasst. Wirklich sehr aufschlussreich und zum Teil sehr traurig!!! Ich habe gerade Deinen Text nochmals gelesen, wirklich ein sehr tragisches Schicksal. Dein Foto zeigt einen sehr stattlichen Mann!
    Mit lieben Gruss,
    Cécile