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Stefan Schwetje


Premium (World), Braunschweig

Durst...

Hugo hatte solche Kopfschmerzen, dass er den Appell kaum aushielt. Das Geschrei der SS-Männer war ihm egal, er wollte sich nur hinlegen. Die Beine, die Arme, der ganze Körper schmerzte, als wollten die Knochen sich umdrehen. Hugo durfte nicht einmal die Hände an den Kopf legen, die mussten an der Hosennaht bleiben. Er zitterte. Weil er nicht mehr konnte. Vor Kälte. Vor Angst.
Die Schmerzen hörten nicht auf. Mama, mir tut alles weh. Hugo fühlte sich brennend heiß. Er legte sich auf die Erde. Alles verschwamm vor seinen Augen, der Himmel, die Krähen, die Wachtürme. Vielleicht nahm ihn jemand hoch. Er brannte und konnte nichts mehr erkennen, nichts mehr denken. War Tag, war Nacht ? Und wo war er ? Drinnen, draußen, im Krankenbau, bei Mama ? Fieber. Und am ganzen Körper breiteten sich Flecken aus. Ewige Zeit verging. Und doch schleppte er sich morgens um vier hinaus zum nächsten Appell und stand stundenlang, danach fiel er wieder um und : ja, die Ration noch - sonst wusste er nichts.
Die Leichen der Nacht hinter der Baracke wurden täglich mehr, zu Bergen aufeinander gelegt. Im Kinderblock, wo die Waisenkinder waren, war ein ewiges Weinen und Wimmern.
Es wurde kein Wasser mehr ins Lager gebracht. Und besonders die Kinder hatten Durst, immerzu Durst. Es gab keine Wasserleitungen, keinen Brunnen, keine Wasserzuteilung. Die Kinder legten sich auf die Erde und tranken aus den Entwässerungsgräben. Trinkt nicht das schmutzige Wasser, sagten die Erwachsenen immer wieder. Sie schimpften, drohten: Trinkt das nicht. Aber die Kinder tranken auch das Wasser aus den Pfützen, aus den Fahrspuren der Lastwagen, die Kinder hatten Durst...

(Quelle: Denk nicht, wir bleiben hier ! Die Lebensgeschichte des Sinti Hogo Höllenreiner)

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