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Lisa162


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Zone rouge

Die Reste von Haumont-près-Samogneux, zerstört im WK I, in der Schlacht um Verdun.
"Rote Zone" oder auch "verbotene Zone" bedeutet, dass man wegen der vielen, immer noch im Boden befindlichen Sprengkörper keine Landwirtschaft betreiben, nicht bauen und sich nicht von den Wegen entfernen darf...
http://www.lesvillagesdetruits.fr/

"...Wald bedeckt die Hänge links und rechts der Maas nördlich der lothringischen Stadt Verdun, dichter Wald. Aus Schwarzkiefern, Rottannen und Buchen. Ein junger Wald, erst nach 1929 angepflanzt. Seine Bäume wurzeln in einem Boden, der 1916 seines Humus verlustig ging.
Sie stehen auf einem Boden, der mancherorts bis in zehn Meter Tiefe um und um gewühlt wurde. Sie stehen auf der Höhe des Mort Homme, des Toten Mannes, die vor 1916 um sechzehn Meter höher in die Landschaft ragte. Sie stehen auf der Cóte 304, die aus ähnlichen Gründen heute Höhe 297 heißen müßte. Sie stehen auf den fein zermahlenen Trümmern des Dorfes Fleury. Sie stehen über dem eingestürzten Bunkernetz unter dem ehemaligen Dorf Douaumont. Sie stehen auf den Überresten der Tunnelsysteme Gallwitz und Kronprinz. Sie stehen über einem Betonbunker im zerstörten Dorf Haumont, der bei seinem Einsturz achtzig französische Soldaten und zwei Maschinengewehre unter sich begrub.
Wie zerstört man einen Humus? Nun, das kann folgendermaßen geschehen: Nehmen wir zum Beispiel den Wald von Caures. Nehmen wir hinzu auf einer Länge von einem Kilometer und in einer Tiefe von vielleicht fünfhundert Metern die Überreste zweier französischer Bataillone - etwa achthundert Mann. Konfrontieren wir diese achthundert Mann in ihren von vorhergegangenen Angriffen fast plattgewalzten Schützengräben mit etwa fünftausend deutschen Soldaten und mit deren Waffen. Denken wir uns unter diesen Waffen etwa vierzig schwere Batterien, sieben Feldartilleriebatterien und fünfzig Minenwerfer.
Lassen wir auf diesen Wald, auf dieses schmale Kampfgebiet, 80 000 schwere Geschosse niedergehen - das sind vielleicht 10 000 Tonnen Eisen, Blei, Kupfer, die von flüchtigem Nitrotolluol zerfetzt und in die Luft, in den Boden, in die Leiber getrieben werden. Lassen wir pro Minute zwanzig Stück dieser Geschosse explodieren, den Boden aufreißen, die so geschaffenen Trichter mit dem nächsten Einschlag wieder zuschütten, bis der Boden jene charakteristische Dünung angenommen hat, aus der hier und da ein verkohlter Baumstumpf wie ein überdimensionierter Spargel ragt.
Übertragen wir solches auf ein Gebiet von schätzungsweise 26 000 Hektar. Versuchen wir uns vorzustellen, wie auf dieses Gebiet weit über 20 Millionen Granaten und Minen niedergehen: 240 000 Abschüsse und Einschläge pro Tag oder 10 000 Explosionen in der Stunde.
In zehn Monaten - vom Februar bis zum Dezember 1916 - entstand bei Verdun eine zweihundertsechzig Quadratkilometer große Wüste, ein Trichterfeld, ein Massengrab, ein riesiger, stinkender Schutthaufen, eine Mondlandschaft, eine Stätte toter Seelen, ein memento mori.
...
Noch immer speit der Boden in der „Zone interdit” aus, was er sich damals einverleibt hat: Grünkreuzgranaten, Helme, Essgeschirr. Noch immer ist die Dünung des Bodens zu sehen und beschäftigt die Phantasie der Nachgeborenen: „Jede Welle ist ein Schuß.“ Solche Phantasien grenzen zwar an die Mystifikationen und Legenden, von denen die Geschichte des Ersten Weltkriegs reich ist. Doch noch heute vermitteln die Schlachtfelder der Westfront den Besuchern ein Gefühl von der Ungeheuerlichkeit dessen, was hier geschehen sein mußte. Ein Gefühl vom Ende der Geschichte - oder doch wenigstens der Zivilisation.
Und: das Gefühl, hier am Ausgangspunkt dessen zu stehen, was gerade mal gut zwanzig Jahre später zu noch größerem Schrecken geführt hat.
Nach 1918 verkündeten die Schauplätze des Ersten Weltkriegs die Botschaft „Nie wieder!” - aber es war nicht vorbei, der Erste Weltkrieg war nicht „der Krieg, alle Kriege zu beenden”, wie der britische Schriftsteller H. G. Wells gehofft und gefordert hatte, ganz im Einklang mit der Vorstellung Vieler. Der Erste war das Präludium zum Zweiten, dem bislang umfassendsten aller Kriege der Menschheit. Ist die Botschaft dieser Gräberfelder also nur: es wird immer wieder geschehen?..."
(Cora Stephan)

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