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Adrenalin um 8 vor 1 - Wort zum Sonntag

Adrenalin um 8 vor 1 - Wort zum Sonntag

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Patrick Rehn


Premium (World), Bebra-Lüdersdorf

Adrenalin um 8 vor 1 - Wort zum Sonntag

Zu der obigen Aufnahme der 152 077-4 mit einem Güterzug des kombinierten Verkehr gibt es eine Vorgeschichte: Wegen hoher Auslastung des Knoten Hanau musste ich im Bahnhof Maintal Ost mit meiner Lok ins Nebengleis ausweichen, was mir von der Fahrdienstleiterin auch vorab mitgeteilt wurde.

Während der Fahrt ins besagte Gleis erkannte ich einen Mann, welcher am Bahnsteigende in den Gleisbereich trat, mein Gleis überquerte und auf dem links zu sehenden Plattenweg mit dem Rücken zu mir weiter in meine Fahrtrichtung lief. Einen Achtungspfiff nahm dieser scheinbar nicht wahr, und mit einer einzelnen - mittlerweile langsam dahinrollenden - Drehstromlok der Baureihe 185 erzeugt man auch keine allzu große Geräuschkulisse...

Parallel zum Plattenweg verlief ein Zaun, welcher dann einige Meter später endete, so dass ich annahm, dass der Mann - wie leider sehr viele Personen - eine Abkürzung nehmen wollte. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich bereits längst wieder Kontakt zur zuständigen Fahrdienstleiterin aufgenommen, welche mir auf meine Nachfrage hin mitteilte, dass hinter mir und von Hanau kommend nix unterwegs war, so dass ich vorerst auf einen Nothaltauftrag verzichtete.

Als ich wenige Augenblicke später knapp hinter dem Mann zum Halten kam erschrak dieser gewaltig. Mit seinen Kopfhörern hatte er meinen Pfiff nicht wahrgenommen und entschuldigte sich vielmals bei mir, wörtlich wollte er sich "in die Büsche" schlagen. Es blieb noch Zeit für ein kurzes Gespräch zwischen uns, der Schock über die plötzlich neben ihm stehende Lok saß sichtlich tief - man hätte meinen können, dass man ihm dabei zusehen konnte wie die Farbe aus seinem Gesicht wich. Ich fragte ihn, ob es ihm gut ginge, was er dann jedoch bejahte. Abschließend bat ich ihn noch darum seine Erfahrung und das Erlebnis nicht für sich zu behalten, sondern unter Umständen mit anderen darüber zu sprechen, damit die gar nicht erst auf die Idee kommen Eisenbahn und Gleisanlagen "auf die leichte Schulter" zu nehmen. Denn für uns Lokführer ist jede Situation dieser Art eine zuviel. Er nickte mit dem Kopf, entschuldigte und bedankte sich bei mir und verließ zügig den Gleisbereich.

Mir ist bewusst, dass ich hier von den geltenden Regeln abgewichen bin, dass ein anderes Vorgehen vorgeschrieben ist. Doch was hätten ein Nothaltauftrag, eine Schnellbremsung meinerseits und das Verständigen der Bundespolizei erreicht? Der Mann wäre vermutlich, ohne Notiz von mir zu nehmen, weitergegangen und hätte den Bereich genauso verlassen, wie nach dem "klärenden Gespräch". Durch den Nothaltauftrag und die notwendige Ingangsetzung des Betriebes wäre es möglicherweise zu Verspätungen und Beeinträchtigungen im Betrieb gekommen und die Bundes- oder Landespolizei hätte, da ich den Weg des Mannes nicht verfolgen konnte, ihn vermutlich nicht oder nur schwer gefunden. Wäre der Mann zwei Minuten früher unterwegs gewesen hätten wir uns nie gesehen...

Der Grad zwischen "gesundem Menschenverstand" und den geltenden Regeln ist manchmal extrem schmal, dessen bin ich mir bewusst und ich möchte keineswegs behaupten, dass dies eine "kluge" Vorgehensweise meinerseits war.

Was ich vermutlich allerdings tatsächlich erreicht habe ist, dass dieser Mann an diesem Tag mehr gelernt hat, als es tausend Gespräche, Warnhinweise und sonstige Ratschläge getan hätten.

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Bahnanlagen sind kein Freizeitgelände, sich nahende Züge sind bisweilen extrem leise und schwer wahrzunehmen - auch ohne Kopfhörer.

Deswegen meine eindringliche Bitte an alle, die nicht dienstlich im Gleisbereich oder bei der Bahn zu tun haben: Nutzt bitte die für den normalen Fahrgast vorgesehenen Wege und Anlagen, steht für Fotos oder Videos nicht zu dicht am Gleis - denn auch eine Warnweste macht nicht unverwundbar.

Der Zug wird gewinnen - immer.

Ihr hingegen werdet mehr verlieren als ihr euch vorstellen könnt. Selbst wenn ihr hinterher "nur" schwer verletzt seid wird euer und das Leben eurer Mitmenschen nie mehr das Gleiche sein wie vorher. Seid nicht bequem - seid verantwortungsvoll und geht vernünftig mit euch und eurem Leben um. Denn neben euch gibt es immer ein zweites Opfer: Die Kollegin oder den Kollegen im Führerstand.

Aufnahmedatum: Mittwoch, 15. Januar 2020 - 12:57 Uhr

Commentaire 3

  • Haidhauser 23/02/2020 23:15

    Wahre Worte, die hier schreibst!!!
    LG Bernhard
  • makna 23/02/2020 22:08

    Der Zug wird gewinnen ... immer ! Der besagte Mann hat hoffentlich die Lehre beherzigt !
    Du hast m.M.n. völlig richtig gehandelt - bis die Bundespolizei am Ort gewesen wäre,
    hätte sich der Mann nicht nur längst in die Büsche geschlagen, sondern wäre ganz
    unauffindbar gewesen ... und es hätte den gesamten Betrieb aufgehalten, mithin
    Kosten verursacht, die man niemandem hätte anlasten können, und zugleich
    den Betrieb aufgehalten und Verspätungen verursacht, die so vermieden
    wurden !!! Also: Gut gemacht !!!
    BG Manfred
  • † AndreasRossel 23/02/2020 22:06

    Hallo Patrick,

    das sollte man ausdrucken und in jeder Schule inder Nähe von Bahnstrecken den Kids in die Hand drücken. Besser kann man das nicht erklären.

    VG Andreas