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Garrulus glandarius


Premium (Pro), Hannover

Der lautlose Laurenz

Vor vielen hundert Jahren einmal lebte ein Ritter mit Namen Laurenz. Dieser besaß ein besonderes Talent dafür, seiner Laute die lieblichsten Klänge zu entlocken und seine Stimme war so wohltönend tief und klangvoll, dass ein Jeder vor Wehmut dahinschmolz, wenn er zum Klang seiner Saiten sang.
Laurenz liebte eine Maid, die anmutige Anna von Anderten. Da diese aber bereits einem edlen Ritter zur Gemahlin versprochen war, durften die Liebenden ihre Sehnsucht nacheinander nicht ausleben. So musste sich Laurenz damit begnügen, allmorgendlich beim ersten Licht des Tages, wenn in der Burg noch alles schlief, unter dem Fenster seiner Holden im Burgturme ein schmachtendes Liedchen zum Morgengruße zu singen. Doch nicht nur Anna verzehrte sich nach dem betörenden Gesang ihres Liebsten: auch die Krähen, die in den Wäldern und Feldern rings um die Burg lebten, fühlten sich wie durch Magie von den feinen Harmonien des Laurenz angezogen. Bald kamen sie in riesigen Schwärmen zur Burg geflogen, sobald sie Laurenz' Morgenständchen vernahmen und krächzten und schrien laut und unaufhörlich, sobald seine Weise verklungen war, um ihm ihren Beifall zu entbieten. Es war nur eine Frage der Zeit, bis andere Burgbewohner durch den Lärm in der Frühe geweckt wurden und eines Tages wurde der Laurenz ergriffen und vor den Scharfrichter geführt. Zunächst wurde ihm nur mit einer glühenden Zange die Zunge herausgerissen, damit er seine Stimme verlor und das Herz der anmutigen Anna nicht weiter erweichen konnte. Laurenz vermochte indes noch immer nicht von seiner Angebeteten zu lassen und auch, wenn er nicht mehr singen konnte, so zupfte er die Saiten seiner Laute mit noch mehr Inbrunst. Ein weiteres Mal wurde er von den Krähen verraten und diesmal enthauptete man ihn und warf seinen Schädel den Krähen zum Fraß vor.
Die arme Anna jedoch, ihrer Liebe, ihrer Hoffnung und Zuversicht nun gänzlich beraubt, konnte und wollte ohne die Musik ihres Geliebten nicht mehr sein und ertränkte sich an einem nebligen Februarmorgen in dem Gewässer, welches die Burg umgab und das seither den Namen "Annateich" trägt.
Laurenz Seele konnte daraufhin keinen Frieden finden und reitet seither stumm und still im Morgennebel am Annateiche auf und ab, in blinder Wut und unendlichem Zorn auf die verräterischen Krähen, die er mit seiner Laute zu erschlagen sucht, um grausige Rache zu üben...

Mein 2, Beitrag zur 126. DigiArt-Challenge "Spukgeschichten".
Alle Fotos von mir:

Zutaten zum lautlosen Laurenz
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Garrulus glandarius

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