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Oliver Schiebek


Premium (World), Düsseldorf

Die Kohlezeichnung

„Kann ich das Bild mal sehen?“, fragte der Kormoran.
„Wenn es fertig ist. Das dauert aber noch“, antwortete ich.
„Wie lange denn? Ich kann die Pose nicht mehr lange halten!“
„Kunst braucht ihre Zeit, ich kann es dir nicht genau sagen.“
„Aber es krampft mir bereits im Nacken und in den Flügeln!“
„Für die Kunst muss man eben leiden!“ Ich zog noch ein paar Striche über die Leinwand.
„Malst du mich eigentlich in Öl oder in Acryl?“
„Ich benutze Kohlestifte, das passt gut zu deinem Gefieder.“ Mein Blick wechselte zwischen Leinwand und Vogel hin und her.
„Wann ist denn deine Ausstellung?“, wollte der Kormoran wissen.
„Nächste Woche. Ich zeige dort mehrere Tierbilder, alle in Kohle gezeichnet.“ Darauf war ich mächtig stolz.
„Hoffentlich verdienst du mit den Bildern ´ne Menge Kohle!“, lachte der Kormoran.
„Das hoffe ich auch! So das Bild ist fertig, du kannst es sehen“, sagte ich zu ihm, nachdem ich noch ein paar Schattierungen mit dem Stift auf die Leinwand brachte. Ich drehte die Staffelei in seine Richtung.
„Was ist das?“, fragte der Kormoran entsetzt.
„Das bist du!“
„Aber da zeichnet mein Sohn ja besser und der liegt noch im Ei!“
„Na, vielen Dank. Trotzdem nett von dir, dass du Modell gestanden hast.“
Die Ausstellung lief tatsächlich nicht wie erhofft, die Kritiker verrissen meine Bilder als „Schwarze Strichmännchen, die Kohle nicht wert“. Ich bleibe wohl doch besser bei der Fotografie…

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