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Eckieh 2

Eckieh
Eckieh
† werner weis


Ich traf Eckieh das erste mal in der "Hellen Ecke". Er saß rechts am
Tresen, möglichst weit entfernt von der Tür. Das war vor 15 Jahren.

In der Sonne sitzen wir oft auch draußen. Wir sind eigentlich nicht
zum Trinken da. Wir fühlen uns einfach nur in solider Sicherheit.

Grad sitzt Eckieh neben mir im Büro und er hat heute Geburtstag
und wir singen - nachher gehen wir wieder unterwegs und los.

Das mit Eckieh vor 15 Jahren, das war ein Wiedersehen,
denn in der Schenke "Helle Ecke"sahen wir uns nicht das

erste Mal, sondern es war ein Wiedersehen. Eigentlich gut
kenne ich Eckieh schon 6 Jahre davor aus Bremen. Ehe er

nach Bremen übersiedelte, war er jahrelang in Berlin ge-
wesen. In Bremen hatte Erika ihn in die WG aufgenommen,

wo ich immer meine Cousine besuchte. Ich hatte dann bald
nacheinander zwei Wochenend-Beziehungen in Bremen und

lernte auch Eckieh über die WG immer näher kennen, er er-
zählte mir so wunderbar aus seinen Jahren in Berlin, wo er

als "ewiger Student" der Soziologie jahrelang als Fotograf
gejobbt hatte, für gutes Geld, doch dieser Job war auch

dementsprechend gewesen. Er hatte feste Arbeitszeiten,
was ihm gar nicht lag, er trank bei der Arbeit manchmal

ab mittags schon und lebte von den Gemüsefrikadellen,
die seine WG damals an Ökoläden lieferte, durch den Ge-

winn kam nebenbei die ganze Warmmiete rein. Er bekam
immer die missratenen Frikadellen mit, also: nicht gut genug

elliptisch geformt, zerbrochen, verwürzt oder angebrannt.
Bis 21 Uhr ging seine offizielle Arbeitszeit, aber er hatte

die ausdrückliche Freiheit, im Zeitfenster 14 bis 16 Uhr
zu machen, was er wollte, er nannte dieses Zeitfenster

von vornherein seine "Tote Zeit" und sonnte sich meist
auf dem Flachdach des Phil-Turms, was illegal war we-

gen der Selbstmordgefahr. Die Professoren der Zahnheil
kamen oft mit ganzen Vorlesungen in Eckiehs fenster-

loses aber riesengroßes Keller-Foto-Studio und -Labor,
um Beispiele zu schauen, Lehr-Fotografien zur Zahner-

haltung. Diese Besuche vertrieben durchaus die Lange-
weile, aber es gab wiederholt Stress wegen Eckiehs

Kleidung, seinem öligen langen Haar und dem Rübe-
Zahl-Bart. Eckieh bürstete vorher immer gründlich durch

und nahm meist dann auch eine Rolle Pfefferminz zu
sich. Was war Eckiehs eigentlicher Job? Er bekam

in den Kernzeiten vormittags und nachmittags und a-
bends monatlich Hunderte von Menchen rein, deren

Zähne er gut ausgeleuchtet foto-dokumentieren soll-
te und spätestens ab jetzt mischt sich Wirklichkeit

und Fiktion, da ja die besten Romane nur vom Leben
selbst geschrieben werden: Eckieh wollte diese Ar-

beit schon bald nicht mehr, war aber wegen seinen
Schulden zu ihr gezwungen. Das Studium machte

ihm eher weniger Probleme, er hatte die Wochenen-
den und die Semesterferien voll zur Verfügung, denn

während der Semester verdiente er netto monatlich
fast 3000 Mark. Eckieh hatte für die WG übernommen,

jetzt sind wir wieder in Bremen, die Kaltmiete bar einzu-
sammeln und dann monatlich zu überweisen, was jah-

relang wunderbar lief, denn die Fluktuaktion in einer
Bremer Studenten-WG damals war immens und e-

norm. Daueraufträge waren schnell für die Katz und
auch der Vermieter aus der FDP war begeistert von

Eckieh und ließ Eckieh auch per bar-Scheck alle Re-
raraturen in diesem Bremer dreistöckigen Haus re-

geln. In diesem Vertrauten und Vertraulichem fiel es
auch lange nicht auf, dass Eckieh gar nicht in seiner

Bremer Zeit täglich als eingeschriebener Student, nun
auf Gym-Lehrer für Politik und Geschichte, wirklich stu-

dierte, sondern morgens aus dem Haus ging, um An-
deres zu treiben. Eckieh war inzwischen eine gepflegte

Erscheinung, zwar weiterhin Jeans-Typ, doch eher mit
Jeans- oder Cord-Jackett und dazu trank er auch nichts

mehr. Nur als Eckieh im März 1986 plötzlich verschwand
und man sich zunächst wenig und später stark verwun-

derte, da merkte der Vermieter durch erst jetzt einset-
zende Kontrollen, dass auf seinem großen Konto mit

den Riesen-Umsätzen, die kleine Kaltmiete der WG
schon seit 14 Monaten fehlte: Eckieh hatte sie ver-

spielt, einfach tagtäglich verspielt, im Casino in Tra-
vemünde, teilweise auch in Spielhallen und auf dem

Kiez beim Pokern. In Bremen sah man Eckieh nie
wieder, auch sonstwie war er vom Erdboden ver-

schluckt, nur ich traf ihn vor 15 Jahren in der "Hellen
Ecke" wieder, wo man ihn bereits sehr schätzte und dies

aus Gutem Grund: Eckieh tat nie mehr jemandem
etwas zu Leide, im Gegenteil, er hilft wo und wem

er kann und übernimmt sich manchmal sogar dabei,
aber er weiß dann Rat und schaltet professionelle

Hilfseinrichtungen ein, die, ja, auch die, die ihn in-
zwischen gerade wegen seiner semiprofessionel-

len Art zu helfen, sehr sehr schätzen. Ja, und ich
und Eckieh, wir immer wieder hier in solider Sicherheit.

Commentaire 10

  • Elsbeth Feustel 29/05/2010 14:13

    Ja, die Geschichte ist wichtig, weil sie Leben ist und immer noch durch und auch mit "deinem" Eckieh lebt. Es ist eine Rahmenhandlung von dir live erzählt (worden) und niedergeschrieben, die Geschichte fragt eigentlich nach mehr: Wie wie war das eigentlich genau Eckieh und wie geht es dir jetzt, was machst du sonst noch so?? Werner und du bist auch live im Leben dabei.
    HG Elsbeth
  • Inge Striedinger 07/04/2010 16:14

    Der Name Eckieh ist offensichtlich nicht Schall und Rauch sondern Nomen est Omen. Deine Geschichte habe ich wie immer mit Vergnügen gelesen!
    LG Inge
  • Uwe Vollmann 06/04/2010 18:33

    Hallo Werner, mich hat Deine Geschichte über Eckieh sehr beeindruckt, ja regelrecht berührt und Deine Aufnahme dazu passt ebenfalls ganz ausgezeichnet!
    LG Uwe
  • Neydhart von Gmunden 03/04/2010 8:23

    .. bin jetzt nachdenklich .. und geh so ins Osterwochenende ....
  • Brigitte Specht 02/04/2010 18:29

    .....tolles Foto und besser kann man die Geschichte von
    " Eckieh " garantiert nicht wieder geben...!
    Ich wünsche Dir schöne Ostertage!
    L.G.Brigitte
  • Eva-Maria Nehring 02/04/2010 18:18

    lach

    Du hast Ideen!
    Naja,
    hast ja auch den Preis bekommen.
    Mögen sie Dir nie ausgehen.
    Schon allein unseretwegen.
    LG Eva
  • Marina Luise 02/04/2010 17:57

    Lippen-Bekenntnisse -
    eine berührende Geschichte und ein tolles Foto dazu! ;)
    Wünsche dir frohe Ostertage und Eckieh auch! ;)
  • Adrena Lin 02/04/2010 12:24

    Die Lebensgeschichte von Eckieh .... so hervorragend, wie sie erzählt wird, berührt....
    Solche Geschichten gibt es auch in meiner Ecke....ich kann nur nicht so großartig erzählen...
    Frohe Ostern , auch für Eckieh...
    Andrea
  • Janne Jahny 02/04/2010 11:48

    Peters Worte könnte ich jetzt abschreiben, ausser dass ich keinen Freund namens Ecki (eh) hatte.
    Deine ganz besonderes Art (und Form) zu erzählen bringt auch mich zu dem Gedanken: Eckieh lebt jetzt in mir, wie aus einem Buch das man mal gelesen hat und dessen Essenz am Ende in Erinnerung bleibt.
    Grüß ihn mal ............

    LG

    LG
  • paules 02/04/2010 11:45

    Dann grüß Eckieh mal herzlich....gratuliere auch und wünsche allen schöne Ostertage...Grüße Paul