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Ein Ami in Seelze ( + viel Text + )

Ein Ami in Seelze ( + viel Text + )

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Patrick Rehn


Premium (World), Bebra-Lüdersdorf

Ein Ami in Seelze ( + viel Text + )

Als ich im Bereich der östlichen Abstellgleise im Bahnbetriebswerk Seelze meine Lok für die Rückfahrt mit einem gemischten Güterzug vorbereitete rollte auf dem Nachbargleis ein Maschine auf den Abstellplatz, welche unter "normalen Umständen" vermutlich nie in den Bestand von DB Cargo gekommen wäre: Die 92 87 0077 030-0, welche (offensichtlich) für Euro Cargo Rail im Einsatz steht. Wie es dazu kam ist eine bemerkenswerte Geschichte.

Anfang der 1980er Jahre war das im Baustofftransport tätige Unternehmen Foster Yeoman in Großbritannien immer wieder mit der alles andere als zufriedenstellenden Situation im Loksektor konfrontiert: Private Unternehmen musste seinerzeit teils äußerst störanfällige Dieselloks und das Personal von British Rail im "Langlauf" einsetzen, da sich die "auf der Insel" recht mächtigen Gewerkschaften gegen andere Typen und Fabrikate sowie die Öffnung des Eisenbahnmarktes im Personalbereich sperrten.

Mitte der 1980er war die Verfügbarkeit bei einigen Baureihen teilweise auf nur 30 % abgesackt, Yeoman fürchtete um seine bestehenden Aufträge. Gleichzeitig sanken zu jener Zeit die Frachtraten - was jedoch nicht der Verfügbarkeit der Loks von British Rail zwingend dienlich war. Yeoman trat deshalb an die Gewerkschaften mit der Bitte heran sich nach einer anderen Lokbauart und vor allem eigenen Loks umsehen zu dürfen, welche diesem Wunsch aufgrund der sonst möglicherweise verlorenen Aufträge zustimmten. Diese stellten jedoch die Bedingung, das die ersten in Privatbesitz befindlichen Streckenloks auf dem britischen Streckennetz von Lokführern von British Rail zu fahren seien. Die Anfragen bei heimischen Lokomotivproduzenten blieben erfolglos, da Yeoman eine 95 %-Verfügbarkeit verlangte und es eine Kleinserie von zunächst sechs, später nur vier Maschinen werden sollte.

Yeoman wandte sich daraufhin - basierend auf den guten Erfahrungen mit einer Rangierlok des gleichen Herstellers - an den seinerzeit weltgrößten Produzenten von Diesellokomotiven, die US-amerikanischen General Motors Electro-Motive Division. Bei GM stieß die Anfrage auf offene Ohren, plante man doch den "Sprung über den Teich" um mit seinen Lokomotiven auch auf anderen Kontinenten Fuß zu fassen. Seitens GM wurde der Plan gefasst die bereits in mehreren tausend Exemplaren und dabei als "unverwüstlich" geltende Lok vom Typ SD 40-2 für den Einsatz in Europa zu adaptieren. Um die für das britische Lichtraumprofil nahezu riesige Lok jedoch auf das entsprechende Maß zu bringen mussten zahlreiche Kompromisse eingegangen werden, unbestätigten Quellen nach wurden hierzu mehrere zehntausend Mannstunden investiert. Da man für die Widerstände und Lüfter der elektrischen Bremse keinen Platz mehr fand blieben diese im wahrsten Sinne des Wortes "auf der Strecke". Auch eine elektrische Zugheizung ließ sich nicht mehr realisieren, was angesichts des geplanten Einsatzes im Güterverkehr auch nicht von Relevanz war.

Nach umfangreichen Testfahrten rund um La Grange und London (Ontario) wurden die ersten Lokomotiven dann Anfang 1986 verschifft und als Class 59 in das britische Nummernsystem eingereiht. Bald darauf bestellten weitere Privatunternehmen einige Exemplare, welche sich in Details voneinander unterschieden.

Erwähnenswert ist noch der Einsatz der 59 003, welche 1997 an die DB Yeoman GmbH verkauft wurde und bis 2001 - auch als Erprobungsträger - durch die Deutsche Bahn, überwiegend im Baustoffverkehr eingesetzt. Die Lok gelangte dann in den Betriebspark der Heavy Haul Power International GmbH aus Erfurt, ehe sie 2014 wieder nach Großbritannien verschifft wurde.

Den 15 Exemplaren der Class 59 folgte 1998 die Bestellung der English, Welsh & Scottish Railway (EWS), welche 1996 in Großbritannien große Teile des Frachtgeschäfts von British Rail übernahm. Die 250 bestellten Loks vom Typ JT42CWR stellten eine Weiterentwicklung dar und sollten helfen sich vom veralteten Rollmaterial zu befreien. Im britischen Nummernsystem wurde sie als Class 66 einsortiert.

Ziemlich zeitgleich begann sich der Schienengüterverkehr in Europa zu liberalisieren, doch für grenzüberschreitende Einsätze standen keine passenden Loks in ausreichender Zahl zur Verfügung: Mehrsystemloks, wie die heute allgegenwärtigen Vectron oder deren Vorgänger 189 und Taurus von Siemens, die Baureihen 185 und 186 von Bombardier oder die PRIMA von Alstom waren noch weit entfernt. Zudem "mauerten" die Staatsbahnen bei der Abgabe eigener Loks an die Konkurrenz, so dass sich diese nach Alternativen umsehen mussten. Die im Rheinland ansässige HGK war daher die erste Eisenbahngesellschaft, welche 1999 die ersten beiden Lokomotiven außerhalb Großbritanniens erhielt. Ausgestattet mit den jeweiligen Zugsicherungssystemen der entsprechenden Länder waren grenzüberschreitende Einsätze kein Problem für die knapp 130 Tonnen schweren Sechsachser. Ein Novum im "privaten" Güterverkehr, welcher sich bislang - von lokalen Ausnahmen wie der Bentheimer Eisenbahn abgesehen - auf nationale Verbindungen beschränkte.

Die Anteilseigner von EWS zielten mit ihren Expansionsplänen auch auf das europäische Festland, wozu die in Frankreich ansässige Gesellschaft Euro Cargo Rail gegründet wurde. Für diese wurde 2006 eine Serie von 60 Lokomotiven der Class 66 bestellt. Um die seit 2009 geltenden strengeren Abgasnormen und weitere geltende Regeln einzuhalten wurden einige weitere Anpassungen erforderlich, so dass die Auslieferung ab 2008 erfolgte. Die interne Bezeichnung lautete bei diesem modifizierten Typ Class 77 - hat allerdings nichts mit der gleichnamigen Variante der British Rail zu tun.

Um den geplanten Ausweitungen im europäischen Schienengüterverkehr Nachdruck zu verleihen begann DB Schenker ab Mitte/Ende der "Nuller Jahre" des 21. Jahrhunderts entsprechende Gesellschaften aufzubauen oder aufzukaufen. Hierzu zählte auch die EWS, welche fortan als DB Schenker UK (heute DB Cargo UK) firmiert. Mit "eingekauft" wurde dadurch auch die ECR, für welche sich die 60 Loks bereits in Auslieferung befanden oder die Produktion noch lief.

Mittlerweile standen für den grenzüberschreitenden Güterverkehr allerdings auch genug leistungsfähige Elektrolokomotiven zur Verfügung, so dass man für die Loks nur bedingt Verwendung hatte. Im Heimatmarkt von DB Schenker UK - in Deutschland - hingegen gab es durchaus Einsatzgebiete für die "weißen Riesen". Seit ungefähr zehn Jahren lassen sich die Loks dabei im Ruhrgebiet ebenso beobachten, wie im Mühldorfer Dieselrevier sowie im Güterverkehr Richtung Oldenburg und Wilhemshaven. Ein Teil der Loks wurde dabei als Baureihe 247, später als 266.4 in die Bestände von DB Cargo übernommen. Im Bw Seelze sind die Loks dabei meist im Rahmen von Instandhaltungs- oder Fristarbeiten zu sehen.

Übrigens: Der alte Bundesbahn-Keks auf der Front ist nicht mit Photoshop hinzugefügt, sondern tatsächlich an der Lok angebracht. ;-)

Quellen:

https://de.wikipedia.org/wiki/EMD_SD40-2

http://britbahn.wikidot.com/class-59

https://www.mainlinediesels.net/index.php?nav=1001451&lang=en

https://de.wikipedia.org/wiki/EMD_JT42CWR

http://www.forum.hunsrueckquerbahn.de/viewtopic.php?t=48516

https://www.mainlinediesels.net/index.php?nav=1000511&lang=en

https://de.wikipedia.org/wiki/DB_Cargo_UK

Aufnahmedatum: Mittwoch, 15. April 2020 - 9:09 Uhr

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