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Stefan Schwetje


Premium (World), Braunschweig

Ein langer Weg...

... um als Mensch zu vergessen und zu vergeben was dir angetan wurde !!!

Schließlich wurden sie beide geholt und warteten in einem Gang. Vor ihnen wurde ein Junge herausgetragen. Als Hugo ihn anschaute, schüttelte er mit dem Kopf. Manfreds Nummer wurde aufgerufen, aber Hugo sah Manfreds Gesicht und ging als Erster. Er wollte ihm zeigen, dass es bestimmt nicht so schlimm sein würde. In einem kleinen Raum stand ein Tisch, zwei Häftlinge erwarteten Hugo. Er musste sich auf den Tisch legen. Ein Häftling spreizte seine Beine und befestigte einen Holzstab zwischen den Fußgelenken, so dass Hugo die Beine nicht mehr schließen konnte. Sie beugten seine Knie und machten das Holz fest, so dass Hugo die Beine aufgestellt lassen musste und nicht mehr strecken konnte. Ein anderer Häftling schraubte Hugos Kopf fest, um seine Ohren schlossen sich vor Schmutz fast schwarze Polster so fest, dass es schmerzte. Hugo konnte in dem Schraubstock seinen Kopf weder senken noch heben. Seine Arme wurden festgeschnallt. Dann kam Mengele. Erst schaute er freundlich. Der tut mir nichts schlimmes. Mengele trug wieder einen weißen Kittel über der SS-Uniform. Er schaute Hugo an und setzte sich vor seinen Unterleib auf den Hocker.
Mengele verlangte nach einem Instrument, und Hugo sah, wie der eine Häftling ihm einen glänzenden Metallstab reichte, lang wie ein Lineal, vorn spitz, dann gewellt mit einer Krümmung darin wie ein Haken. Mengeles Blick war kalt und stier geworden. Hugo versuchte mit aller Kraft seinen Kopf zu heben, er hatte Angst, er wollte sehen was mit ihm getrieben würde. Es gelang ihm nicht, an seinem Körper hinabzuschauen, nur so weit, dass er Mengeles Gesicht deutlich vor Augen hatte, als er sich Hugos Unterleib zuwendete. Mit dem langen Metallinstrument drückte er von unten in Hugos Bauchhöhle. Dabei brauchte er alle Gewalt, schnaufte heftig und hatte Schweißperlen auf der Stirn. Es gab einen Ruck und er hatte das Instrument in Hugos Körper hineingestoßen. Nun bohrte er hinein.
Mengele murmelte die ganze Zeit über etwas vor sich hin, während er mit dem Gerät etwas in Hugos Leib tat. Hugo hatte sich den Zipfel seines Kittels in den Mund gesteckt und biss jetzt fest drauf. Hugo spürte den Schmerz bis zum Herzen hinauf. Je mehr er schreien wollte, desto fester biss er auf den Stoff. Der Häftling neben Mengele riss die ganze Zeit über Papier von einer Rolle und saugte das Blut auf, wischte es weg. Und Hugo sah die starren Augen von Mengele.
Hugo glaubte zu sterben, aber er wollte nicht schreien. Er hatte andere Kinder schreien hören: Au, au, hört auf, hört auf, au ! Hugo wollte durchhalten, denn sein Bruder saß draussen und sollte ihn nicht hören und noch mehr Angst bekommen. Und er dachte, wenn ich schreie, dann ist der Tod da, dann bringen sie uns gleich um. Ich sterbe nicht, sagte er sich immer wieder, komm, ich sterbe nicht, ich lebe weiter.
Sobald Mengele mit Hugo fertig war, ging er hinaus. Der Häftling stopfte viel Papier zwischen Hugos Beine. Hugo wurde losgeschraubt, auf eine Bahre gelegt und an Manfred vorbeigetragen. Er hatte solche Schmerzen, dass er sich am ganzen Körper verkrampfte. Aber er versuchte die Blutflecken auf seinem Kittel in den Falten zu verbergen, damit Manfred sie nicht sehen konnte. Es hat gar nicht wehgetan, sagte Hugo noch zu ihm. Manfred musste hinein. Nach einer Stunde wurde er gebracht. Voller Blut, der Kittel durchtränkt.
Jetzt lagen Hugo und Manfred auf den Pritschen und waren sogar zum sprechen zu schwach, so wie sie es zuvor bei anderen Kindern gesehen hatten. Der Film im Kopf hielt nicht mehr an, die Gedanken drehten sich im Kreis, Tag um Tag. Und jedes mal, wenn die Tür sich öffnete, die Angst, sie könnten wieder zu Mengele gerufen werden...

"Man ist da mit zehn, elf Jahren wie einer mit zwanzig, fünfundzwanzig Jahren. Das geht schon, wir halten durch. Man ist da so" !

(Quelle: Denk nicht, wir bleiben hier ! Die Lebensgeschichte des Sinti Hugo Höllenreiner)

http://www.fotocommunity.de/user_photos/1694560?folder_id=671134

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Stefan Schwetje

Commentaire 13

  • Wolfgang P94 25/12/2017 19:55

    Es gibt nichts was Menschen anderen Menschen nicht antun würden...wie schlimm. Und doch kann es jederzeit irgendwo, irgendwie wieder geschehen.
    Meinen Dank und Respekt für dieses Foto, diesen Text.
    LG
    Wolfgang
  • Titus Photografie 09/11/2017 20:11

    Ich kenne die Geschichte der Familie Höllenreiner.
    Es erscheint unfassbar, was damals passiert ist. Und unfassbar, dass dies in einem modernen, zivilisierten Land geschehen konnte.
    Beklemmend ist jedoch vor allem, dass man dadurch begreift, wie dünn die Hülle der Zivilisation ist. Man spürt es langsam wieder, wenn einige stolz darauf sein wollen, was damals geschehen ist. Damit meine ich nicht die Neonazis. Sondern diejenigen, die stolz auf die Wehrmacht sein wollen. Denn es war die Wehrmacht, welche die Voraussetzungen für den Holocaust schuf. Und die den Holocaust nicht nur billigte, sondern auch aktiv mitwirkte.
    lg
    Christian
    P.S.: Bildaufbau und Bearbeitung sind absolut klasse!
  • Rumtreibär 08/11/2017 10:12

    bedrückend und mahnend - fotografisch sehr gut
    Gruß Dieter
  • Nebelhexe 06/11/2017 20:51

    Wenn man das gelesen hat, wird einem schwer um's Herz.
    Man muss sich vorstellen, das hätte auch DIR passieren können, wer auch immer meinen Kommentar liest, ist damit angesprochen.
    Man hätte nur in die damalige Zeit hinein geboren werden müssen, worauf man natürlich keinen Einfluss hat.
    Wir alle haben ja schon so manches Mal Angst vor einer ärztlichen Behandlung gehabt, mit dem Unterschied, das wir wussten was passiert und das es am Ende gut für uns enden soll....aber das? Man ist gesund, liegt gefesselt auf einer Pritsche, was hier noch nicht mal der Fall war und jemand kommt an und man weiß, gleich tut es weh...aber was wird weh tun und wird es mich erbarmungslos vor Schmerzen schreien lassen, oder sterbe ich dadurch sogar?
    Ich finde, das sollte man sich mal auf diese Weise durch den Kopf gehen lassen um wenigstens einen kleinen Teil dieser Grausamkeiten verstehen zu können, aber mehr geht nicht...denn wir sitzen dabei gemütlich mit einer warmen Tasse Tee behütet und sicher auf der Couch und von daher...
    LG
  • Karin.M 06/11/2017 20:42

    Mit tiefer Betroffenheit und Traurigkeit habe ich Deine Beschreibung gelesen ! Unfassbar aber wahr und wir dürfen es nicht vergessen! Und immer wieder davon erzählen und zeigen,so wie Du es machst! LG Karin
  • Urs V58 05/11/2017 22:28

    Der Blick wird leer beim Lesen des Textes - und einmal mehr gibt es kaum Worte, das Gelesene zu beschreiben, geschweige zu verstehen ...
    LG Urs
  • Mary.D. 05/11/2017 17:48

    Dein Foto paßt gut zum Text!Gut gemacht!
    LG Mary
  • Michael T. Kleine 05/11/2017 12:40

    Zu dieser Thematik eine sehr passende Bearbeitung von dir.
    VG, Michael
  • Joachim Irelandeddie 05/11/2017 11:49

    Unfassbar kann man da immer wieder sagen, wie können Menschen so grausam sein? Wieder ein Bericht der tief betroffen macht zusammen mit deiner sehr guten Aufnahme wieder ein warnender Hinweis das so etwas schreckliches grausames nie wieder geschehen darf. Ich bin immer wieder tief erschüttert!

    lg eddie
    • Stefan Schwetje 05/11/2017 12:05

      Ja Joachim, das meinte ich mit : "Wenn ich da rumlaufe" - der Ort wird lebendig, mir schießen Hunderte Biografien in den Kopf, Texte an die ich mich erinnere - es gibt kein Gebäude, keine Baracke wo sich vor meinem geistigen Auge nichts abspielt...
  • Brigitte Specht 05/11/2017 11:41

    ...wieder unsagbar gut von Dir gezeigt und beschrieben!
    L.G.Brigitte