Retour à la liste
Fritz Levy, der letzte Jude von Jever

Fritz Levy, der letzte Jude von Jever

10 835 5

Peter Janßen


Free Account, Oldenburg

Fritz Levy, der letzte Jude von Jever

Fritz Levy – Geheimtäter und Viehlosoph

Fritz wurde am 6. Mai 1901 geboren, er war Sohn einer jüdischen Viehhändlerfamilie. 1918 absolviert er als Bester seines Jahrgangs das Abitur am Mariengymnasium Jever. Anschließend studierte er einige Semester Tiermedizin in Berlin. Dieses Studium musste er abbrechen, da sein Vater bei einem tragischen Unglücksfall ums Leben kam und er nun den väterlichen Vieh-und Schlachtbetrieb übernehmen musste.
Viele Geschichten werden über ihn erzählt, er sei ein Frauenheld und ein „Halodri“, man sah ihn auf dem Motorrad mit einem lebenden Schaf auf dem Arm.
Er war blond und blauäugig, doch das sollte ihm in der Nazizeit nichts nützen. Am 16. Juni 1938 um kurz vor sieben wird er von zwei Polizisten verhaftet und nach Wilhelmhaven gebracht. Von dort ging es mit einem Sammeltransport ins Konzentrationslager Sachsenhausen. Das er nach einem halben Jahr wieder entlassen wird, verdankt er dem jeverschen Amtsrichter Anton Cropp, der sich für Fritz eingesetzt hat. So traf er also am 16. Dezember 1938 wieder in Jever ein.
Aber es war nicht mehr die Stadt, die er verlassen hatte, alles hatte sich verändert und in der Reichsprogromnacht war auch die Synagoge in Jever zerstört worden.
Fritz will auswandern, So buchte er für 1.200 Reichsmark einen Platz auf dem nächstbesten Schiff, es war der Frachtdampfer Oder, der ihn nach Shanghai brachte. Dort fand er Wohnung und Arbeit im „Europäer-Viertel“, er arbeitete als „Quicktransporter“, mit Fahrrad und Anhänger fuhr er Waren aus.
Nach dem Kriegsende kamen die Amerikaner nach Shanghai und stellten ihn für 50 $ im Monat als Kraftfahrer ein.
1949 reiste er über Australien nach San Francisco und stellte einen Antrag auf Rückerstattung des von den Nazis beschlagnahmten Eigentums. Anfangs wollte er in den USA bleiben, doch das Heimweh ließ ihm keine Ruhe.
1951 kehrte er nach Jever zurück, in der Hand nicht mehr als einen Pappkoffer. Erst jetzt erfuhr er, das seine Mutter, Geschwister und alle anderen Verwandten in Auschwitz vergast worden waren.
Die Jeveraner waren alles andere als begeistert, als er zurückkehrte. Man wollte wohl nicht an die Vergangenheit
erinnert werden, erneut erfuhr er die Ablehnung seiner ehemals braunen Heimatstadt. So entwickelte er sich immer mehr zum Sonderling, ließ das Unkraut vor seinem Haus ungehemmt sprießen. Die Tore seines Hauses wurden mit Hakenkreuzen beschmiert. Manche bezeichneten ihn als Schandfleck von Jever oder sagten: “Dich haben sie wohl vergessen, zu vergasen!“
Fritz reagierte abwechselnd mit Depression und Aggression, zog sich wochenlang zurück, verfasste anschließend Flugblätter, wurde im Rathaus vorstellig, klagte an und wurde angeklagt. Ein erster Suizidversuch erfolgte.
Als wir Jugendlichen ihn Ende der Siebziger kennen lernten, war er schon der Outlaw von Jever, er trug uralte Klamotten, hatte immer eine Zigarre im Mund, fuhr auf seinem alten Fahrrad durch die Stadt und stieß sich dabei immer mit einem Bambusstock ab. An seiner Seite immer seine beiden Hunde, manchmal auch Esel und Ziege, die er dann zum Weiden in den Schlossgarten brachte. Morgens in der großen Schulpause stand er vor dem Schulhof „seiner“ alten Schule und sprach uns an:“ Ich bin mehr als der Führer“, sagte er, „ich bin der Verführer!“ Viele hatten auch Angst vor diesem komischen alten Mann, der dieser Kleinstadt wie ein „Till Eulenspiegel“ den Spiegel der Vergangenheit vor das Gesicht hielt.
Uns Jugendliche faszinierte er und wir begannen, unseren Eltern kritische Fragen zur Vergangenheit zu stellen.
Im Kampf um ein Jugendzentrum unterstütze er uns, bot uns sogar sein Haus an.
1981 mit 80 Jahren kandidierte er als Einzelkandidat für den Stadtrat und wurde tatsächlich gewählt, nicht nur von jungen Menschen, wie Politiker behaupteten, sondern auch von vielen älteren Menschen. Als ältestes Ratsmitglied sollte er die erste Sitzung eröffnen, eine Sensation, zu der der Spiegel, der Stern und sogar die New York Times Reporter entsandten.
Dieses Bild habe ich ca. 1978 gemacht, als Ekki und ich mit Fritz über Land fuhren, um „oral history“ zu machen, wir besuchten z.B. Bauern, die ihn während der Nazizeit im Kohlenkeller versteckt hatten. Die Tonaufnahmen, die mit einem Cassettenrecorder entstanden, sind alle verloren gegangen.
Am 25. Oktober 1982 hat sich Fritz in seinem Haus erhängt. Sein Grab befindet sich auf dem jüdischen Friedhof in Jever.

Commentaire 5

  • DeaconBlues 09/03/2016 18:40

    ja, ich erinnere mich an ältere Verwandte, er hieß dort eher der Jude, für mich eher unverständlich, zeigte er aber auf wie viele aus der alten Generation getickt haben. Er hat es bestimmt nicht leicht gehabt in der damaligen Zeit. Sind wir heute weiter, gehen wir heute anders mit den Menschen um. Um die Friesen mache ich mir weniger Gedanken, aber wenn ich heutzutage Richtung Sachsen schaue wird mir ganz schlecht.

    LG Willi
    p.s. Habe Fritz nie persönlich kennengelernt, mein Bruder war öfter bei ihm zum Skatspielen
  • Friesenbild 08/07/2013 19:22

    An Fritz und sein Haus an der Schlosserstrasse kann ich mich noch sehr gut erinnern...
  • Nati E. 27/10/2010 13:49

    Ein intensives Foto und eine bewegende Geschichte.
    Top!
    LG, Nati
  • Kari~NE 25/10/2010 18:36

    37 Zeilen für ein Leben, welches bestimmt 37 Bücher füllen könnte ... beeindruckend deine Recherche - zusammen mit dem Foto gut präsentiert, das wirkt der Text noch intensiver.
    Gruß von hier Karin
  • rostfreies herz 24/10/2010 23:34

    so was darf nicht in vergessenheit geraten.
    gut dass du das hier zeigst...
    und sehr gut, was du dazu geschrieben hast.
    lg micha