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Elisabeth Heidegger


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Löwenzahn

Leben einer Blume
Aus grünem Blattkreis kinderhaft beklommen
blickt sie um sich und wagt es kaum zu schauen,
fühlt sich von Wogen Lichtes aufgenommen,
spürt Tag und Sommer unbegreiflich blauen.
Es wirbt um sie das Licht, der Wind, der Falter,
im ersten Lächeln öffnet sie dem Leben
ihr banges Herz und lernt, sich hinzugeben
der Träumefolge kurzer Lebensalter.
Jetzt lacht sie voll, und ihre Farben brennen,
an den Gefäßen schwillt der goldne Staub,
sie lernt den Brand des schwülen Mittags kennen
und neigt am Abend sich erschöpft ins Laub.
Es gleicht ihr Rand dem reifen Frauenmunde,
um dessen Linien Altersahnung zittert;
heiß blüht ihr Lachen auf, an dessen Grunde
schon Sättingung und bittre Neige wittert.
Nun schrumpfen auch, nun fasern sich und hangen
die Blättchen müde überm Samenschoße.
Die Farben bleichen geisterhaft: das große
Geheimnis hält die Sterbende umfangen.

Hermann Hesse

Im Tal ist der Löwenzahn längst verblüht und abgemäht, aber in höheren Lagen - auf der Flucht vor der flirrenden Hitze - entfaltet er noch seine sonnengoldene Blütenpracht.

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