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[sonne... an die wand gepresst...]

[sonne... an die wand gepresst...]

1 201 19

mir°ja


Premium (Pro), lauf gehege

[sonne... an die wand gepresst...]

.start einer kleinen serie.
.moment.aufnahmen. in bild und text.

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teil I

*

Hier ist es anders als auf den anderen Fluren. Ruhiger. Es fällt auf, dass die Wände gelb gestrichen sind. Sonne... an die Wand gepresst.
Die Luft dazwischen erzählt von düsteren Tagen.
Sie kennen mich hier mittlerweile, auch wenn es lange gedauert hat, ihr Vertrauen zu gewinnen. Wenn ich herkomme, bin ich müde. Eigentlich würde ich gern in einem Bett liegen. In meinem Bett. Ich spüre die Kanülen in meinem Arm. Warten. Ich könnte die Zeitschriften lesen. Und beim nächsten Mal blättern, welchen Artikel ich noch nicht kenne. Welche Belanglosigkeiten mich beim letzten Mal schon nicht interessiert haben. Oder in die Bibliothek gehen. Anfangs war ich dort oft. Alles lesen, Antworten suchen, Fachbegriffe finden, hoffen, resignieren. Dann der Tag, an dem der blöde Bernd, den ich in meinem Kopf nur Bernd das Brot nenne, auch in der Bibliothek war. Ich musste fliehen, vor diesem Pessimismus, diesem Selbstmitleid. Und bin hierher gekommen. Warum, weiß ich nicht. Ruhe. Und dieser Stuhl. So einladend. Ich setze mich, strecke die Beine aus.
In diesem Zustand schwimmt der Geist allein durch das Sein. Bahnt sich seinen eigenen Weg. Alles fühlt sich schwer an. Ich möchte schlafen.
Die Tür geht auf. Ich sehe das Gelb der Wände aber es dringt nicht zu mir durch.
Ich realisiere erst danach, dass jemand durch die Tür gekommen ist. Sie trägt eine Mütze. Ich glaube zu erkennen, dass sie darunter keine Haare mehr hat. Das Gesicht ist ernst. Voller Wissen. Erkenntnis. Der Blick leicht fragend. Es fiel mir schon immer schwer, das Alter von Personen zu schätzen. Ich denke, da draußen würde sie vielleicht im Sommer eingeschult werden. Ihr persönlicher Sommer besteht aus einer gelben Wand. Wir sagen nichts. Mein Blick wandert zu ihrer kleinen Hand, die die ihres besten Freundes fest umklammert hält. Er ist so groß wie sie. Kariert. Mit riesigen Füßen. Der einzige von uns dreien mit einem Dauerlächeln. Ziemlich rückgratlos lässt er sich hängen. Ähnlich wie ich in diesem Stuhl. Was man von ihr nicht behaupten kann. Unbeirrt steht sie vor mir und sagt: „Du siehst gar nicht traurig aus.“
„Warum sollte ich das sein?“
„Weil alle Erwachsenen hier traurig aussehen. Bis auf Eva und Sven natürlich. Und Kerstin ist meistens schlecht gelaunt. Aber nicht traurig.“
Ich kenne weder Sven noch Kerstin und Eva, sage aber nichts.
„Warum sitzt du hier auf dem Stuhl?“
Ja, warum eigentlich? Wenn da nur nicht die Watte in meinem Kopf wäre. Was mache ich hier? Eine Frage, die ich mir schon so oft gestellt habe. Ich versinke in der Leere meines Kopfes und meinen Gedanken. Ich gucke hoch, als ich das Geräusch der Automatiktür höre. Der Flur ist leer.

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