. . . dort oben . . .
Er hatte es geschafft. Er war oben angekommen. Aus einfachen Verhältnissen
stammend, hatte er sich über viele Jahre hochgearbeitet. Vielen Zweiflern und
Skeptikern aus alter Zeit zum Trotz. Was für ein Gefühl, da oben. Wie sehr hat-
te er seinem Vater beweisen wollen und letztlich auch bewiesen, dass er, der
doch zu nichts nütze war, es doch geschafft hatte. Sein Vater war aber schon
längst verstorben. Zu einem Zeitpunkt, als er die Grundlagen seiner Karriere ge-
legt hatte. Was hätte er wohl gesagt, sein Vater? Ob auch er so stolz gewesen
wäre, wie seine Mutter? Bestimmt, dachte er. Aber es aus des Vaters Munde zu
hören, DAS wäre es gewesen. So aber blieben letzte Zweifel.
Nachdem er seinen Erfolg genossen hatte, langsam Ruhe und der Alltag einge-
kehrt war, schaute er sich in Gedanken um. Wie sah sein Erfolg aus? Ganz ob-
en war er nicht angekommen. Es hätte eines anderen Stallgeruchs bedurft, zu-
mindest ausgezeichnetes Vitamin B und entsprechende Freunde. Ganz oben
duldete man keine Aufsteiger aus der Schicht, aus der er kam. Vielleicht, wenn
man Bundeskanzler wäre oder zumindest ein einflußreicher Spitzenpolitiker. Zu-
mindest wäre man da ganz oben geduldet, wie ein nützlicher Idiot. Und nach un-
ten, zu seinen Wurzeln, aus denen er kam ? Die würden ihn für verrückt erklär-
en und sich enttäuscht abwenden. Die da unten brauchen einen wie ihn, einen,
der es geschafft hat; einen, den man vorzeigen kann. Wie die Goslaner ihren Si-
gi Gabriel. So aber . . . . . Und Freunde, seine Freunde? Die hatte er nicht, wie
er erst jetzt erschrocken bemerkte. Gut, er kannte einige Menschen, aus seinem
Beruf und aus seinem langen Leben in dieser Stadt. Aber waren es echte Freun-
de? Wohl eher nicht. Gute Bekannte vielleicht. Seine Freunde von damals, aus
der guten alten Zeit, in alle Winde verstreut. Kein Kontakt mehr. Sie waren alle
ihren Weg gegangen und hatten zum Teil Familie und mittlerweile andere Freun-
de. Er hatte aber nur sich selbst, wie er nüchtern feststellen mußte. Ein bitterer
Beigeschmack stellte sich ein. Zum ersten mal überkamen ihn Zweifel.
Dabei hatte er doch alles richtig gemacht, im Vergleich zu seinem Vater. Eine
gute Schul- und Berufsausbildung genossen, daran anknüpfend ein erfolgreich-
es Studium und tatsächlich danach auch einen guten Beruf, der ihn nach oben
geführt hatte. Ein Haus hatte er im Vergleich zu seinem Vater nicht gebaut und
auch keine Familie gegründet. Das wäre nur hinderlich gewesen, für seinen Auf-
stieg, hatte er damals befunden. Wenn man nach oben will, muß man alle Optio-
nen, die man hat, sich offen und warm halten und absolut flexibel und einsatzfä-
hig sein, so seine Meinung. Daher war er Bindungen und anderweitige Karriere
hinderliche Verpflichtungen aus dem Weg gegangen. Das könne er immer noch
nachholen, wenn man es geschafft hat, war seine tiefe Überzeugung.
Als er es nun endlich geschafft hatte, fühlte er keine Kraft mehr, keine Energie
mehr, für all diese üblichen Dinge des Lebens, die einen zufriedener machen,
dort oben.
Marina Luise 23/09/2023 14:54
Ich gucke heute nur ausnahmsweise das Foto an - (Zeitmangel! ) - aber das zog mich durch seine Zauberwaldfarben magisch an!peju 25/08/2023 16:05
...und wo ist oben?gabi44 25/08/2023 14:08
So schön und feinsinnig, wie es Maringe es beschreibt, kann ich es nicht formulieren !!!! :)Zu Deinem Text: Ich denke, oben angekommen macht sich die Ermüdung des Erreichten bemerkbar. Bis jetzt war der Weg sein Ziel -
und jetzt? Oben angekommen, muß er erst einmal bei sich selber ankommen; das ist wohl der schwierigste Part bei diesem Unterfangen.
lg gabi 44
-ansichtssache- 24/08/2023 23:01
Wie würde die Geschichte aussehen, wenn er eine Beziehung gehabt hätte, gar eine Familie gegründet hätte. Würde er dann darüber klagen, dass die Rücksicht auf Frau und Kinder ihn in seiner Entwicklung beeinträchtigt hätte, er beruflich nicht seinen vermeintlichen Möglichkeiten entsprechend voran gekommen wäre. Was sind die 'üblichen Dinge des Lebens', die einen zufriedener machen? Es ist in der Tat verdammt schwer, zu akzeptieren, dass man nicht alles haben kann und immer eine Entscheidung für einen bestimmten Weg treffen muss. Und dabei begleiten Zweifel und Sehnsüchte wohl jeden durch's Leben.Dein Foto, ich nenne es mal 'Sinnbild', beschreibt ganz hervorragend die Einsamkeit, die man ganz oben - auch mittendrin - empfinden kann.
Liebe Grüße, Danny
Conny11 24/08/2023 21:05
Ein Text der nachdenklich stimmt, letztlich allein oben zu sein ...das macht einen stolz, aber es reicht meist nicht aus um langfristig glücklich zu sein... Es braucht Freunde, ein Gegenüber...
Das Foto passt hervorragend zu deinem Text..
sehr gut fotografiert und präsentiert.
LG; hab einen schönen Freitag, Conny
Clara Hase 24/08/2023 19:03
Maringe beschreibt sehr schön dein stilles foto - dein Text aber geht mir reichlich unter die Haut.HJ.B. 24/08/2023 18:34
Er hat es geschafft, er ist ganz oben.Sein Vater wäre stolz auf ihn und beruhigt, dass er kein Bundeskanzler geworden ist.
Das hätte seinen Vater noch früher ins Grab gebracht.
Herzliche Grüße
Hans Jürgen
Ulrich Ruess 24/08/2023 18:33
Da ich alles positiv sehe, erkenne ich ich hier die schöpfende Hand von Schneewittchen, die in ihrer oder das in seiner Freizeit kreativ schöpfte. Der Zwergenhaushalt hat sie eindeutig nicht ausgefüllt, woraus man schließen kann, dass Frauen grundsätzlich noch tüchtiger sind als bisher schon vermutet und, da sie weder einen Staubsauger besaß noch einen Thermomix, dass diese Dinge völlig überflüssig sind.LG Ulrich
E. W. R. 24/08/2023 16:17
Eine erschröckliche Geschichte, bei der jedenfalls das mit der gläsernen Decke einige Evidenz hat. Zumindest für die erste Generation der Aufsteiger, die natürlich schon taktischerweise eine Familie gründen sollten, damit es die zweite Generation gibt. ;-)Maringe 23/08/2023 22:47
Du lässt Licht und Moos verflüssigen, den Farn zu Treppenstufen einem Pilz zu liebe wachsen und den eigenen Blick erhöhen..... so schaut man auf den Hütchenwicht ganz dicht, lauscht und hört ihn nicht.Der Betrachter selbst steht mitten drin, im Wald mit seinem Leben..... fühlt er sich auch daneben.
Es liegt wohl am Blickwinkel und vielleicht an der Stille.
Liebe Grüße, Karin
Runzelkorn 23/08/2023 18:00
https://youtu.be/WnN0B1cStaA?si=HFFfGFaT6dvMa9au