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Neydhart von Gmunden


Premium (Basic), Hamburg

. . . dort oben . . .

Er hatte es geschafft. Er war oben angekommen. Aus einfachen Verhältnissen
stammend, hatte er sich über viele Jahre hochgearbeitet. Vielen Zweiflern und
Skeptikern aus alter Zeit zum Trotz. Was für ein Gefühl, da oben. Wie sehr hat-
te er seinem Vater beweisen wollen und letztlich auch bewiesen, dass er, der
doch zu nichts nütze war, es doch geschafft hatte. Sein Vater war aber schon
längst verstorben. Zu einem Zeitpunkt, als er die Grundlagen seiner Karriere ge-
legt hatte. Was hätte er wohl gesagt, sein Vater? Ob auch er so stolz gewesen
wäre, wie seine Mutter? Bestimmt, dachte er. Aber es aus des Vaters Munde zu
hören, DAS wäre es gewesen. So aber blieben letzte Zweifel.
Nachdem er seinen Erfolg genossen hatte, langsam Ruhe und der Alltag einge-
kehrt war, schaute er sich in Gedanken um. Wie sah sein Erfolg aus? Ganz ob-
en war er nicht angekommen. Es hätte eines anderen Stallgeruchs bedurft, zu-
mindest ausgezeichnetes Vitamin B und entsprechende Freunde. Ganz oben
duldete man keine Aufsteiger aus der Schicht, aus der er kam. Vielleicht, wenn
man Bundeskanzler wäre oder zumindest ein einflußreicher Spitzenpolitiker. Zu-
mindest wäre man da ganz oben geduldet, wie ein nützlicher Idiot. Und nach un-
ten, zu seinen Wurzeln, aus denen er kam ? Die würden ihn für verrückt erklär-
en und sich enttäuscht abwenden. Die da unten brauchen einen wie ihn, einen,
der es geschafft hat; einen, den man vorzeigen kann. Wie die Goslaner ihren Si-
gi Gabriel. So aber . . . . . Und Freunde, seine Freunde? Die hatte er nicht, wie
er erst jetzt erschrocken bemerkte. Gut, er kannte einige Menschen, aus seinem
Beruf und aus seinem langen Leben in dieser Stadt. Aber waren es echte Freun-
de? Wohl eher nicht. Gute Bekannte vielleicht. Seine Freunde von damals, aus
der guten alten Zeit, in alle Winde verstreut. Kein Kontakt mehr. Sie waren alle
ihren Weg gegangen und hatten zum Teil Familie und mittlerweile andere Freun-
de. Er hatte aber nur sich selbst, wie er nüchtern feststellen mußte. Ein bitterer
Beigeschmack stellte sich ein. Zum ersten mal überkamen ihn Zweifel.
Dabei hatte er doch alles richtig gemacht, im Vergleich zu seinem Vater. Eine
gute Schul- und Berufsausbildung genossen, daran anknüpfend ein erfolgreich-
es Studium und tatsächlich danach auch einen guten Beruf, der ihn nach oben
geführt hatte. Ein Haus hatte er im Vergleich zu seinem Vater nicht gebaut und
auch keine Familie gegründet. Das wäre nur hinderlich gewesen, für seinen Auf-
stieg, hatte er damals befunden. Wenn man nach oben will, muß man alle Optio-
nen, die man hat, sich offen und warm halten und absolut flexibel und einsatzfä-
hig sein, so seine Meinung. Daher war er Bindungen und anderweitige Karriere
hinderliche Verpflichtungen aus dem Weg gegangen. Das könne er immer noch
nachholen, wenn man es geschafft hat, war seine tiefe Überzeugung.
Als er es nun endlich geschafft hatte, fühlte er keine Kraft mehr, keine Energie
mehr, für all diese üblichen Dinge des Lebens, die einen zufriedener machen,
dort oben.

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